Nach einer langen Pause

Viele Monate habe ich nichts in diesem Blog gepostet. Nichts, dass es nichts zu sagen gegeben hätte über das Platzmachen im Stadtraum. Dennoch habe ich nicht die Zeit gefunden, in Ruhe meine Gedanken aufzuschreiben. Und wenn ich etwas schreiben wollte, kam etwas dazwischen. Nicht nur viele interessante Aufträge und Projekte, was ja nicht so schlecht ist, sondern auch die wirren Coronazeiten. Und jetzt die nicht minder verwirrenden Nachcoronazeiten, in denen das Wetter zwar immer heißer und unbeständiger wird, aber Maßnahmen gegen Klimawandel nicht mehr wirklich zeitgemäß scheinen, weil es scheinbar viel Wichtigeres gibt, und viele lieber noch mal schnell in den Urlaub oder auf einen Kurztrip nach Wer weiß wo fliegen. All das umrahmt vom verstörenden Krieg in der Ukraine und vielen anderen mindestens genauso verstörenden Ereignissen. Da fehlten mir manchmal die Worte. Und so habe ich die letzten Monate “nur” noch einige Fachartikel geschrieben, die Ihr in Teilen unter www.stadtraumstrategien.de finden könnt.

In den letzten Wochen habe ich gemerkt, dass mir das nicht reicht. Es gibt so viel zu sagen. Deshalb möchte ich “Platz machen” wieder aktivieren und kritisch, selbstkritisch, ironisch und ernst über die kleinen und großen Dinge rund umd Stadt- und Landplanung schreiben.  

Foto : Anne Faden

wenn man immer nur in die Vergangenheit schaut, kann man die Zukunft nicht beeinflussen


Natürlich gilt es immer abzuwägen, was in der Vergangenheit gut war und was nicht. Doch die Vergangenheit war eben nicht per se immer besser.
Im städtischen Freiraum wird die Vergangenheit besonders oft verklärt. Es war früher einfach immer immer besser. Das ist ein bisschen so, als würde man in seiner Wohnung immer noch die Toilette eine halbe Treppe tiefer benutzen wollen, so wie das vor 100 und vor 50 (und in Berlin auch vor 20 Jahren) gemacht wurde.

Ein Beispiel für diese viel vermeintlich bessere Vergangenheit ist der Anlagensee in Tübingen. Der See war seit vielen Jahren ein hocheutrophiertes (auf deutsch: hochbelastetes) Gewässer mit einer bis zu 2,5 m dicken Schlammschicht am Boden und betonierten Ufern. Regelmäßig im Sommer drohte der See umzukippen und roch unangenehm. Das zu ignorieren, weil man den Umbau scheut und sich die Veränderung nicht vorstellen kann, war für mich aus fachlicher Sicht kaum nachvollziehbar. Trotzdem finden manche Menschen in Tübingen den alten, stinkenden See bis heute viel schöner.

Gleichwohl schreitet der Umbau voran. Und auch wenn er schon eine ganze lange Weile dauert und noch dauern wird, ist schon jetzt der Blick in die Zukunft zu sehen. Der ist in jedem Fall schon jetzt besser als die Vergangeheit.

Foto Anne Faden, Sommer 2023

Der andere Blick? – Was Coronakrise, Verkehrsplanung und Männer gemeinsam haben

„Wenn es um Mobilität geht, bestimmen seit Jahrzehnten vorwiegend Männer die Rahmenbedingungen“, so stand es in der aktuellen Ausgabe der Veloplan (einer übrigens sehr ansprechenden, neuen Zeitschrift über Radmobilität. Auch wenn man die aktuelle Krisensituation anschaut, fällt eines auf. Die Krisenmanager sind, abgesehen von der Bundekanzlerin,  überwiegend Männer. Dazu kommt: wer sich jetzt beweist, überlegte und nachvollziehbare Entscheidungen trifft, die richtigen Worte wählt, empfiehlt sich für Größeres. Krisen machen Karrieren – Männerkarrieren.

Doch wo sind eigentlich die Frauen geblieben? Im homeoffice, wo sie  neben ihrer Arbeit die Beschulung, die Kindergartenbetreuung und das häusliche Kulturprogramm managen. Wo sie versuchen, den Alltag am Laufen zu halten, den Einkauf erledigen, der umständlich geworden ist mit dem im heutigen Deutschland ganz ungewohntem Phänomen des in der Schlange stehen. Dazu kommen Haushalt (das ist anders und meistens gibt es mehr zu tun, wenn alle daheim sind) und ein höherer Aufwand beim Kochen. Wenn Restaurants geschlossen haben, muss irgendjemand für das Mittagessen sorgen. Das sind meistens Frauen. Frauen tragen die Hauptlast, auch bei der Pflege und dem irgendwie Aufrechterhaltens des Kontaktes  mit betagten Angehörigen, die jetzt Risikogruppen heißen. Frauen tragen die emotionale Last, wenn Nerven zunehmend blank liegen. Vor allem berufstätige Mütter werden in der Öffentlichkeit aktuell immer unsichtbarer. Sie sind regelrecht verschwunden. In erschreckender Weise vollzieht unsere Gesellschaft eine, nein zwei Rollen rückwärts. Denn diese Situation geht auch an den Männern nicht spurlos vorüber. Nicht wenige Männer fallen in längst überkommende, patriarchal konnotierte Rollenmuster zurück. Das Schlimmste ist, dass Frauen offenbar gerade überhaupt keine Zeit haben, für ihre Belange einzutreten. Zudem sind schlechter vernetzt. Für für viele jüngere Frauen ist Feminismus ein Schimpfwort, stand ihnen die Welt doch grenzenlos offen. Wozu braucht es da Lobbygruppen.

Und was hat das mit Verkehrsplanung zu tun? Landaus landab wird über die Mobilitätswende diskutiert. Doch tatsächlich betreiben wir vielfach vor allem Verkehrsplanung aus einem technisch- funktionalen Blickwinkel. Deshalb an dieser Stelle ein kurzer Blick auf die fachlichen Begrifflichkeiten. Mobilität ist per Definition die Beweglichkeit von Personen zur Befriedigung von Bedürfnissen durch Raumveränderung. Verkehr wiederum ist das Instrument, welches für die konkrete Umsetzung von Mobilität benötigt wird. Verkehr umfasst Fahrzeuge, Infrastrukturen und die Verkehrsregeln (aus: Becker, Gerike, Völlings: Gesellschaftliche Ziele von und für Verkehr. In: Heft 1 der Schriftenreihe des Instituts für Verkehr und Umwelt e.V., 1999). Verkehr ist also nur das Instrument zur Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen, Verkehrsplanung ist das fachliche Mittel.

Mobilitätsbedürfnisse sind je nach persönlicher Lebenssituation und Arbeitswelten unterschiedlich. In der Betrachtung der  zurückgelegten Wege gibt es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Männer legen durchschnittlich 46 km am Tag zurück, Frauen 33 km (Mobilitätsatlas, Daten und Fakten für die Mobilitätswende, 2019). Auch die Verkehrsmittelwahl bezogen auf die zurückgelegten Wege ist unterschiedlich. Während die Nutzung des öffentlichen Verkehrs  nahezu gleich ist, zeigt sich bei den mit dem Auto zurückgelegten Wegen ein krasser Unterschied. Männer legen mit dem Auto 29 km am Tag zurück, Frauen nur 14. Der Mobilitätsatlas schreibt deshalb treffend: „Insgesamt dürfen Straßen mit viel Autoverkehr als männlich dominiert gelten.“

Auch die Mobilitätsmuster sind unterschiedlich und spiegeln weitgehend fest verteilte Rollen im Alltag wieder. Dies sei anhand zweier „Extreme“ dargestellt.

Der berufstätige Mann: Das Mobilitätsmuster ist dreiecksförmig zwischen Wohnung  – Freizeit –   Arbeitsort. Die multimodalen Verknüpfungen und Interaktionen im öffentlichen Raum sind gering. Die Wege sind länger.

Die berufstätige Frau mit Kindern: Das Mobilitätsmuster ist netz- bzw. sternförmig zwischen  Wohnung –  Freizeit – Wohnung – Eltern/Freunde – Freizeit der Kinder – Wohnung – Schule/Kita – Einkaufen –  Arbeitsort. Die multimodalen Verknüpfungen und Interaktionen im öffentlichen Raum sind hoch. Die Wege sind kürzer, dafür häufiger.

 

Die Berliner Mobilitätsberatung „White Octopus“ formulierte deshalb in einer aktuellen Studie zu Recht, dass Mobilität nichts geschlechtsneutral ist und männliche Vorlieben haben kann (aus: A Man´s world. In: Veloplan 1/2020).

Schließlich kommt auch noch dazu, dass sich die Wahrnehmung der konkreten Bedingungen im öffentlichen Raum und bei der Mobilität unterscheidet. Eine Umfrage des Tagesspiegels  zur Radverkehrssituation in Berlin zeigt, dass 41 % der befragten Frauen große Angst haben beim Radfahren, hingegen nur 11 % der Männer (fairkehr, 2/2020). Viele Situationen, die Männer als vollkommen normal wahrnehmen, bereiten Frauen so viel Unbehagen, dass sie in Vermeidungsstrategien übergehen und damit im schlimmsten Fall ihr Mobilitätsverhalten einschränken. Zu dichtes Überholen, aggressives Verhalten, parkende Autos auf Radwegen, schlechter Zustand von Geh- und Radwegen, zum schmale Geh- und Radwege, nicht ausreichend ausgeleuchtete Wege und Straßen, fehlende Bänke zum Ausruhen und überhaupt zu wenig Platz im öffentlichen Raum – darunter leiden vor allem Frauen, Kinder und mobilitätseingeschränkte Menschen.

Diese Fakten haben bisher zu wenig Eingang in die Planung gefunden. Verkehrsplanende sind überwiegend Männer und betrachten die Welt aus ihrem meist technisch-funktionalen Blickwinkel und auch aus dem Selbstverständnis heraus, dass Männer mehr Raum in der Gesellschaft sowie den politischen und fachlichen Debatten haben. Auch die meisten politisch-fachlichen Entscheidungen zu Verkehrsplanungen werden durch Männer getroffen, denn Bürgermeister und Gemeinderäte sind häufiger Männer. Auch die Partizipations- und Beteiligungsstrategien berücksichtigen die unterschiedlichen Blickwinkel nicht. In den Beteiligungsveranstaltungen zu Verkehrsthemen sitzen überwiegend Männer, jenseits der 60, ausgestattet mit einem gesegneten Sendungsbewusstsein und unerschütterlichem Bewusstsein dafür, was richtig und was falsch ist.

Dabei könnte das Verständnis der unterschiedlichen und anderen Perspektiven die Mobilität aller verbessern. All das zeigt sich in der aktuellen Situation, in der plötzlich mehr zu Fuß gegangen und deutlich mehr Rad gefahren wird, in der der öffentliche Raum und der Verkehrsraum eine ganz neue Bedeutung bekommen und in der die Defizite unserer öffentlichen Räume für alle, auch für die Männer, plötzlich sehr deutlich zu Tage treten. Mobilitätswende und das Leitbild der menschengerechten Stadt können deshalb nur erfolgreich sein, wenn andere als die jahrzehntelang vorherrschenden Sichtweisen berücksichtigt werden. Und damit sich wirklich etwas ändert, reicht es nicht, wenn sich Männer in die Bedürfnisse „anderer“ hineinversetzen. Es braucht den Blick und die Sichtbarkeit der Frauen, es braucht mehr Partizipationsprozesse, die Frauen und Kinder berücksichtigen, Befragungen, die gezielt nach den Bedürfnissen von Frauen fragen, es braucht mehr Verkehrsplanerinnen und Entscheiderinnen. Und es braucht auch die Bereitschaft von Frauen, sich einzumischen. Es braucht den anderen Blick – und schon allein, dass schreiben zu müssen, macht irgendwie auch traurig.

Das steinerne Dorf

Wenn wir über Klimawandel diskutieren, geht es schnell darum, was jeder/jede tun muss. Wir diskutieren über Plastiktüten, Plastikhalme, Flugscham, Weihnachtsbäume, über Verbote und Freiheit, die es offenbar ausschließlich auf deutschen Straßen auszuleben gilt. Nicht selten erbitterte und mit Rechthaberbesserwisserduktus geführte Diskussionen, die Vorbehalte schüren und wenig zielführend sind. Immerwährender Beweis, dass es keine besseren Besserwisser als uns Deutsche gibt.

Ich beschäftige mich seit langem mit Stadtgrün und Wasser in der Stadt. Beide Themen haben viel mit dem Klimawandel zu tun. Nur logisch, dass ich dazu letztes Jahr mehrere Vorträge gehalten und Artikel geschrieben habe, u.a. einen über Entsiegelung und Begrünung als Beitrag zur Klimaanpassung (Stadt+Grün 8/2019).

Siedlungen sind von den Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen. Durch die starken Versiegelungsgrade sind Oberflächen- und Lufttemperaturen höher als im Umland. Das führt zu Temperaturen, die tagsüber längeren Aufenthalt im Freien nahezu unmöglich machen, und nachts wirkungsvolle Abkühlung verhindern, da Beton und Asphalt ihre tagsüber gespeicherte Wärme abgeben. Diese Effekte werden in den nächsten Jahren zunehmen. Denn ein großer Anteil der Freiräume ist heute versiegelt – Straßen, Wege, Plätze und Stellplätze. Auch die privaten Freiräume sind stark versiegelt. Hierin liegt einer der Hauptgründe für die Entstehung urbaner Hitzeinseln mit gefühlten Lufttemperaturen von deutlich über 40 Grad und Oberflächentemperaturen um die 70 Grad.

Zum Reigen möglicher Klimaanpassungsmaßnahmen gehören deshalb schon lange Entsiegelung und Begrünung. Beides einfach zu realisieren. Beides nutzt nicht nur dem Klima, sondern auch der Biodiversität oder einfach ausgedrückt, den Insekten und Vögeln. Schaut man sich allerdings um, entsteht der Eindruck, als nähme Versiegelung ungebremst zu. Die Zahl der PKW steigt, damit der Anteil versiegelter Stellplätze. Viele private Grundstücke werden komplett gepflastert oder erhalten großflächige Steinschüttungen. Auf Bepflanzung wird verzichtet, denn Blüten und Laub sind vor allem Dreck. Auch noch der letzte Weg wird asphaltiert, damit die Schuhe nicht verschmutzen. Fassadenbepflanzungen könnten die strahlend weißen Hauswände verschmutzen und machen Arbeit, genau wie Blumenbeete. Die wollen viele Hausbesitzer nicht mehr haben. Die vielgeschmähten Schottergärten sind deshalb deutlichstes Zeichen für unser beschränktes Verständnis zum Freiraum. Alles muss praktisch sein. Neulich habe ich einen Schottergarten entdeckt, der inmitten der Schotterfläche ein Vogelhäuschen beherbergte. Besser lässt sich der Irrsinn nicht ausdrücken. Dabei zeugt das Beispiel durchaus von Gestaltungswillen und möglicherweise einem kleinen Rest an Wissen, dass Gärten etwas mit Natur und die wiederum mit Insekten und Vögeln zu tun haben. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wer meint, dass dies alles nur die Stadt betrifft, irrt. Dörfer sind ebenso stark versiegelt. Praktisch und komplett gepflasterte Hofeinfahrten, Schottergärten, konsequente Unkrautbekämpfung mit Roundup und wenn Rasen, dann möglichst kurz und auf gar keinen Fall mit Löwenzahn oder Gänseblümchen.

Dabei wäre es einfach. Es gibt gute Beispiele, gute Initiativen und einfache Möglichkeiten zum Tun. Wichtig wäre aber, dass – jenseits politischer Lippenbekenntnisse zum sogenannten Klimanotstand, der in den letzten Monaten mancherorts ausgerufen wurde, oder einem zum Fremdschämen perfekt geeigneten Statement der Umweltministerin Svenja Schulze, dass es „beim Klimaschutz nicht nur um Gletscher und Eisbären geht“ – endlich messbare Maßnahmen  ergriffen werden. Dafür braucht es politische und planerische Rahmenbedingungen, Anreize, Vorbilder, Gebote und Verbote (JA, auch Verbote). Dafür braucht es eine ernsthafte Auseinandersetzung darüber, was jeder/jede Einzelne tun kann oder eben nicht tut. Darüber müssen wir reden. Jetzt. Und dann tun.

Anmerkung: Die Fotos in diesem Beitrag entstanden in meiner Nachbarschaft und umliegenden Dörfern. Sie stehen beispielhaft für das, was schief läuft und das, was sich machen lässt. Ich habe übrigens letztes Jahr für meinen Vorgarten einen Preis beim Vorgartenwettbewerb erhalten, ausgelobt von den Verbänden Wohneigentum Baden-Württemberg e.V. und Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Baden-Württemberg. Weit über 1.000 Einsendungen gab es. Der Vorgartenwettbewerb ist eines der Beispiele, was sich machen lässt und hoffentlich findet er viele Nachahmer und Nachahmerinnen.

Vorgarten in Schotteroptik

praktisch gestaltete Hofeinfahrt

baumloser, komplett versiegelter Supermarktparkplatz

begrünte Garagenzufahrt

gekieste und begrünte Hofeinfahrt

entsiegelte und begrünte Straßeneinmündung

blühende Mauer

Pflanzfläche 1

Pflanzfläche 2

Schottergarten mit Vogelhäuschen

Vorgarten und Fassadenbepflanzung

begrünter Hof

Vorgarten

Vorgarten

Vorgarten

Automobiler Schwarzwald – oder – Denken über Alternativen

Wenn in den Niederungen am Oberrhein im Winter der Nebel drückt und es gar nicht hell werden will, dann versprechen die Höhen des Schwarzwaldes Erlösung. Vor allem bei Inversionswetter durchschneiden ihre Wipfel die Dunstbänke und liegen im Sonnenlicht. Über ein Wattemeer reicht der Blick bis hinüber in die Vogesen. Manchmal lugen noch die Spitzen der Kirchtürme wie Masten versunkener Schiffe hervor. An solchen Tagen locken die Höhen besonders. Das klingt wildromantisch, doch mit dem Hinaufkommen ist es so eine Sache. Der Schwarzwald ist ein Eldorado motorisierter Mobilisten und eines in die Jahre gekommenen Massentourismus. Breite Straßenschneisen und bequeme Spazierwege, beliebige Eventgastronomie mit gigantischen Parkplatzanlagen vor brutal geschneisten Skihängen, die dennoch in ihrer Kürze kaum Herausforderungen bieten, dazu lärmgeplagte Ortschaften entlang der Zufahrtsstraßen, deren abgasverrußte Fassaden nur erahnen lassen, dass es sich um malerische Erholungsorte handelt.

Natürlich ist der Schwarzwald ein Natur- und Wanderparadies mit wundervollen Wegen und Steigen und einladenden Ausflugszielen. Ein Beispiel dafür ist die Hornisgrinde, höchster Gipfel des Nordschwarzwaldes, mit seinen Aussichtstürmen, dem Hochmoor und der Wanderhütte. Lange Jahre war das gastronomische Angebot auf der Hornisgrinde von eher provisorischem Charakter. Seit Dezember 2018 begrüßt die neue Grindehütte Wanderer und Ausflügler. 2,5 Millionen Euro investierte die Waldgenossenschaft Seebach in anspruchsvolle Architektur und will an die vormilitärischen Zeiten am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts anknüpfen, als Hornisgrinde und Mummelsee das beliebteste Ausflugs- und Urlaubsziel der Region waren. Das nur auf den ersten Blick schlichte Bauwerk mit einer Natursteinfassade verbindet zeitlose Moderne mit Schwarzwaldtradition. Mit seiner offenen Galerie, den großen Panoramafenstern und dem Kaminofen in der Mitte des Gastraums bietet die Hütte großartige Ausblicke und ist dennoch überraschend gemütlich. Das Wanderherz freut sich ob der neuen Möglichkeit zur Einkehr – weit ab vielbefahrener Straßen und massentouristischer Angebote.

Grindehütte, Foto: Katrin Korth

Wer zu Fuß oder mit dem Mountainbike an der Hütte ankommt, reibt sich möglicherweise dennoch verwundert die Augen. Neben der Hütte befindet sich seit neuestem ein öffentlicher Parkplatz, mit Platz für 50 Autos. „Zufahrt für Gäste und Besucher frei.“ Von dieser werbenden Botschaft fühlen sich nicht wenige Menschen eingeladen, den Ausflug auf den Gipfel gleich ganz mit dem Auto zu machen, anstatt einen der Parkplätze an der Schwarzwaldhochstraße anzusteuern. Die Folge ist ein ausgesprochen reger und zügiger Autoverkehr auf dem Zufahrtsweg und in der Folge regelmäßig unschöne Szenen zwischen Wandernden und Automobilisten. Kampfgebiet Hornisgrinde. Eine intelligente Schranke soll noch installiert werden, die anzeigen soll, ob noch Parkplätze frei sind. Allerdings erst im nächsten Sommer. Man will Chaos vermeiden und es lieber richtig machen, so der Bürgermeister von Seebach, auf dessen Gemarkung die Grindehütte liegt. Ohnehin beruft sich die Gemeinde vorrangig auf das Teilhabegesetz: auch mobilitätseingeschränkte Menschen sollen die Hütte besuchen können. Bis zum Sommer nimmt man also lieber das Chaos und den Ärger der Wandernden in Kauf. Zweifelsohne, es ist eine Gratwanderung in der Abwägung der Interessen. Schließlich können Betreiber der Wanderhütte nicht nur von den Wandernden leben und haben deshalb die Parkplätze beantragt. Und doch bleibt ein schales Gefühl. Freie Fahrt für freie Bürger – hinauf auf den letzten Gipfel. Ein Schelm, der da was Böses denkt.

50 Stellplätze an der Grindehütte, Foto: Katrin Korth

In den sozialen Medien sind die Meinungen gespalten. Es reicht von „Warum nicht auch denjenigen die Chance geben, mal auf die Hornisgrinde zu gehen, denen es zu Fuß nicht möglich ist?“ über „Autos haben im Wald nichts verloren. Wer hoch will soll das Rad nehmen oder zu Fuß gehen. Für den Rest fährt ein Bus. Das ist Natur und kein verdammter Rummelplatz.“ Dazwischen Beiträge die sich über die Unzuverlässigkeit und Unbequemlichkeit der Busse beschweren.

Womit sich der Kreis schließt. Wie viel und welchen Tourismus will der Schwarzwald? Heißt Teilhabe wirklich, dass jeder Ort, jeder Gipfel, jede Höhe erreicht werden können muss, notfalls mit dem Auto? Bekommen jetzt auch alle Aussichtstürme auf der Hornisgrinde Aufzüge? Der Teilhabe wegen? Oder geht es nicht vielmehr vor allem um unsere eigene Bequemlichkeit. Denn tatsächlich gibt es einen Ausflugsbus nach oben. Doch die Busse sind eben nicht wirklich bequem, das Angebot nur bedingt bekannt, man muss sich nach den Abfahrtszeiten richten. Und schließlich: Busfahren ist irgendwie so gewöhnlich, so wenig hipp, trotz aller Verheißungen neuer Mobilität und digitalisierter Welt mit modernen Apps für Fahrpläne und Tickets. So kommen die meisten Menschen mit dem Auto, zumal es ausreichend Parkplätze gibt, die in den letzten Jahren immer mehr erweitert wurden. Zuletzt wurden 124 neue Parkplätze am Mummelsee errichtet. Schlappe 3.100 qm Fläche gingen dafür darauf. Auch das neue Nationalparkzentrum wird mit einer opulenten Parkplatzanlage ausgestattet. Entlang der gesamten Schwarzwaldhochstraße und ihren Zufahrten reiht sich ein Band von Parkplätzen. Dazu kommt, dass die Schwarzwaldhochstraße beliebtes Fahrgebiet der Motorradmobilisten ist, von denen nur einige angepasst fahren. Kreuze säumen die Rennstrecken. Hat man Ärzte im Bekanntenkreis, weiß man, dass diese irgendwann das Gebiet in ihrer Freizeit meiden, um nicht im Wochentakt bis zur Unkenntlichkeit entstellte, verunglückte Fahrer von der Straße zu kratzen.

Die Verkehrsüberlegungen von Nationalpark und Naturpark setzen auf ÖPNV. Gleichzeitig werden immer mehr große Parkplätze gebaut. Das klingt nach „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“. Und so ist der Schwarzwald immer noch vor allem auto- und motoradmobil. Die verstreuten, eigentlich idyllisch gelegenen, kleinen Erholungsorte bleiben weiter Zufahrten. Ohne nennenswertes Gewerbe ist es für sie schwer, wirtschaftlichen Aufschwung zu generieren, zumal dem Schwarzwald immer noch etwas Beschauliches und Antiquiertes anhaftet. Auch die Hoffnung auf Aufschwung durch Wintersport wird sich im fortschreitenden Klimawandel nicht erfüllen, da helfen selbst noch mehr Schneekanonen nicht.

Neulich berichtete die Lokalzeitung wieder von der Idee, die Höhen über eine Seilbahn zu erschließen. Abwegig auf den ersten Blick. Doch Diskussionen über Seilbahnen sind gerade en vogue, wenngleich die Diskussionen darüber in einigen der Städte, in denen sie geführt werden, bestenfalls folkloristischen und populistischen Charakter haben. Um innerstädtischen Verkehrsprobleme zu lösen, sind Seilbahnen meist nicht geeignet. Doch um zerstörungsfreie, naturverträgliche Routen über unwegsame Bereiche zu schaffen, sind sie perfekt. Ebenso bieten sie in der Vernetzung mit schienengebundenem ÖPNV Vorzüge. Sie sind weitgehend wetterunabhängig, im Sommer und im Winter attraktiv. Auf den zweiten Blick hat die Idee einer Seilbahn also durchaus etwas.

Seilbahnen versöhnen und verbinden: Berg und Täler, Flussufer, verkehrlich schlecht angebundene Orte. Sie bieten Ausblicke und Überblicke. Das Fahren allein wird zu einem Erlebnis. Die Stationen könnten auf den vorhandenen Parkplatzflächen errichtet werden. Sie können CO2-neutral mit Ökostrom betrieben werden. Die Seilbahn könnte an die Bahntrasse der Stadtbahn angeschlossen werden. Hier hat es ohnehin Parkplätze auch für die, die vom Auto umsteigen. Anschließen könnte man die Dörfer mit ihren Gasthöfen und Weingütern, was auch ein Beitrag zu verbesserter Alltagsmobilität wäre. Fahrräder und Ski könnten sie transportieren. Die vielen Stellplätze oben wären nicht mehr nötig. Die Skihänge ließen sich einbinden, das neue Nationalparkzentrum. Die Seilbahn wäre hier ein Garant, dass die herausragende Architektur des Nationalparkzentrums nicht von Blechkisten umsäumt wird und der Nationalpark mehr als nur ein punktuelles Highlight und Lieblingsspielzeug der grünen Landesregierung wird. Es wäre eine Option für die Zeit nach dem Wintersport, die unweigerlich kommen wird. Es wäre eine Option für eine Zeit, die andere Mobilität forciert und alltagstauglich macht, die vernetzt, statt immer noch mehr Autos zu generieren. Und deshalb sollte man hier auch vom Land Baden-Württemberg mehr erwarten dürfen als ein paar warme Worte und Hinweise zu den komplizierten rechtlichen Herausforderungen. Wochenendausflüge wie Urlaube könnten mit Seilbahnen zu etwas wirklich Besonderem werden – mit Ausstrahlwirkung auf die Alltagsmobilität. Sie sind leise und elektromobil, bieten Langsamkeit mit Ausblicken und sind dabei schnell. Sie könnten den Schwarzwald beleben, ohne dafür noch mehr Flächen zu versiegeln. Genau deshalb sind Seilbahnen visionär.

lebenswerte Stadt planen – in eigener Sache

Neulich erschien im Blog der Seite CritiCity ein Interview mit mir, dass ich Euch nicht vorenthalten will.

Wir diskutieren ja gerade wieder ganz viel über Dieselfahrverbote und die Rolle des Autos in der Stadt der Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass die Beschwörungen von Autoindustrie, Autolobby einschließlich der momentanen Regierung, dass autonom fahrende Autos und der Elektromobilität die Zukunft für die Stadt seien, schlichtweg zu kurz gedacht sind. Wenn man die Diskussionen verfolgt, gibt es drei große Themen: 1. Platz, 2. Energieeffizienz und Umgang mit Ressourcen, 3. Stadterleben. Für alle drei Themen bietet das individuelle KFZ, egal mit welchem Antrieb und egal, durch wen oder was gesteuert, keine Lösung. Individuelle Mobilität mit Autos verbraucht zu viel Platz. Sie trägt zur Ressourcenverschwendung bei und verhindert eine Stadt, in der es sich angenehm leben lässt.

Lebenswerte Stadt ist immer eine Stadt der zu Fuß Gehenden und der Radfahrenden. Mehr dazu in diesem Inteview:

Heimat messbar machen

Ich merke es in meinem Blog “Platzmachen” oder auch, wenn ich für den Bildertanz Reutlingen schreibe: kontrovers wird es immer dann, wenn es um konkrete Orte geht, seien es Städte oder Brunnen oder Plätze. Das war beim Beitrag über den Listbrunnen in Reutlingen so und auch bei dem über das Radfahren in Mannheim. Wir mögen es nicht, wenn sich jemand “Fremdes” vermeintlich negativ über unsere Stadt auslässt. Das hat möglicherweise etwas zu tun mit mit Lokalpatriotismus oder Heimatverbundenheit oder überhaupt Heimat. Dies führte mich zur Frage, was das mit der Heimat ist?

Über den Begriff selbst tobt aktuell ein Kampf um die Deutungshoheit. Nicht nur der Heimatminister im großen Berlin, der Heimat vor allem als etwas Ausgrenzendes versteht, reklamiert den Begriff für sich – auch die Grünen und der NABU neuerdings. Dabei ist der Heimatbegriff, ohnehin eine ziemlich deutsche Erfindung, noch gar nicht so alt. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bekam er erstmals nennenswert Gewicht. Berühmte und weniger berühmte Menschen haben sich über ihn ausgelassen. Und je mehr man über ihn liest, je deutlicher wird, Heimat ist für jeden Menschen etwas anderes. Im wundervollen Film “WEIT. Die Geschichte von einem Weg um die Welt” von Gwendolin Weisser und Patrick Allgaier – der, obwohl Reisefilm, vor allem über Heimat erzählt – sprechen verschiedene Menschen über ihr Bild von Heimat. Die Erkenntnis daraus? Heimat ist manchmal FAMILIE, aber doch irgendwie größer als FAMILIE, mehr als ZUHAUSE oder HEIM oder das eigene STADTVIERTEL. Heimat ist kleiner als das LAND. Es geht um irgendetwas dazwischen.

Daraus folgen Fragen: Kann man sich Heimat aussuchen? Kann man mehrere Heimaten haben? Was ist, wenn man die Heimat verloren hat? Kann man seine Heimat hassen? Kann man heimatlos sein? Irgendwie geht es um einen emotional aufgeladenen, nicht genau definierbaren Ort, der für jede und jeden etwas anderes ist. Das macht es so schwierig, darüber zu diskutieren.

Neulich habe ich einen Blog entdeckt, der sich zur Aufgabe gemacht hat, Heimat messbar zu machen. CRITICITY: Bewerte Deine Stadt. http://www.criticity.de

Das Städtebewertungsportal ist seit Ende 2017 im Netz und will Städte vergleichbar machen. Nun lässt sich einwenden, dass es schon viele Bewertungsportale gibt und mittlerweile fast alles – Restaurants, Ärzte, Firmen, Krankenhäuser, Hotels – bewertet werden kann, was nicht zwangsläufig zu mehr Klarheit führt. Für manche der Bewerteten ruiniert eine schlechte Bewertung den gesamten Ruf. In Zeiten maximaler Transparenz durch das Internet nicht einfach. Auch Städterankings gibt es schon: Die zehn schönsten Kleinstädte oder die zehn lebenswertesten Städte der Welt und so weiter. Wer auch immer da wie bewertet, die Kriterien sind mitunter kaum nachvollziehbar. So wurde 2018 München zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Wenn man die exorbitant hohen Mieten Münchens bedenkt, dann müsste es eigentlich deutliche Abstriche bei der Lebensqualität geben. Denn was nutzt eine Stadt mit schönen Grünflächen, einem sauberen ÖPNV, einem guten Geschäftsklima und guten Gastronomieangeboten, wenn sich eine normal- oder sogar gut verdienende Familie das Leben in der Stadt gar nicht leisten kann, weil die Miete das meiste Geld verschlingt? Genau das hatten die angereisten Bewerter aber offensichtlich nicht bewertet.

CRITICITY geht einen etwas anderen Weg: Städte werden nicht von außen bewertet, sondern durch die Menschen, die darin wohnen. Es gibt ausreichend viele Kriterien, wie Sicherheit, Lebenshaltungskosten, Wohnen, Arbeitsmarkt, Stadtbild, Sport- und Freizeitangebot, Verkehr und Transport, Gastronomie und Nachtleben, Umland und Natur, Bildung, dazu noch einige Zusatzfragen. Damit lässt sich ein guter Durchschnitt ermitteln. Je mehr Menschen mitmachen, je mehr greift die Schwarmintelligenz – die Bewertung nähert sich einer weitgehenden Objektivität an. Schön ist, dass so auch kleine Städte und Dörfer bewertet werden können und wer Lust hat, kann auch noch ein bisschen mehr zu seiner/ihrer Stadt schreiben. Im besten Fall könnte das eigene Feedback sogar Veränderungen anstoßen. Das zumindest erhoffen sich die Macherinnen und Macher.

Hier schließt sich der Kreis zum Heimatbegriff. Wenn Heimat das ist, wo ich mich interessiere, ich mich einbringen will, dann beschäftigt sich CRITICITY mit Heimat. Heimat im Sinne von CRITICITY ist ortsgebunden, als Nutzerin setze ich mich mit meinem unmittelbaren Umfeld, meinem Wohnort auseinander.

Es bleibt die Frage, ob Heimat auch unabhängig von Orten definiert werden kann? Hannah Arendt soll gesagt haben: Schwimmen gibt mir ein Heimatgefühl. Der Satz klang für mich immer befremdlich, braucht es doch für das Schwimmen nur ausreichend Wasser. Und die Vorstellung eines Schwimmbades oder eines Sees als Heimat? Doch dieses Jahr, als ich im türkisblauen, klaren Wasser meines Baggersees am Oberrhein schwamm, verstand ich, was gemeint sein könnte.

Mit dem Fahrrad unterwegs in Mannheim

2017 wurde Mannheim als fahrradfreundliche Kommune Baden-Württembergs ausgezeichnet. Vielleicht hätte ich das lesen sollen, bevor ich mit dem Fahrrad in Mannheim unterwegs war. Und vielleicht hätte ich dann auch vorher im Internet recherchieren sollen, wie man sich radelnd gut durch Mannheim bewegt.

Mannheim hätte gute Voraussetzungen zum Fahrradfahren, die Stadt ist topfeben. Doch Stadt ist vor allem autogeprägt. Auffällig die Hochstraßen. Das benachbarte Ludwigshafen stampfte in den 1960er Jahren das PROJEKT VISITENKARTE aus dem Boden. Aufgeständerte Autobahnen inmitten der Stadt waren für die damaligen Verkehrsplaner modern. Über den Rhein und die Hafenanlagen reichen die Hochstraßen bis nach Mannheim hinein. Unter ihnen, radelnd oder gehend, fühlt man sich klein und verletzlich. Heute sind die Hochstraßen vor allem marode. Den Verkehrsinfarkt haben sie nicht verhindert, dafür das Stadtbild nachhaltig verschandelt. Selbst Mannheims Schlossgarten wird von Hochstraßen zerschnitten. Dazwischen winden sich schmale Radwege, deren Beschilderung sich vermutlich vor allem Einheimischen erschließt.

Wir entdecken eine Fahrradstraße. Aufgeklärte Radelnde wissen, dass sie hier Vorrang haben und schnell vorankommen sollten. Wären da nicht die vielen Schlaglöcher, so dass man das Rad lieber schiebt.

Visitenkarte Hochstraße, Katrin Korth

Auch im Einbahnstraßengewirr der Quadrate braucht es Überwindung, Rad zu fahren. Parkplätze dominieren das Stadtbild, die Gehwege sind schmal, Fahrräder scheinen zu stören. Jederzeit droht eine Kollision mit einem tiefergelegten aufgepimpten Automobil einschließlich seines goldkettchenbehängten Fahrers. Wir erreichen den Paradeplatz, einen der wichtigsten Stadtplätze Mannheims. Zwischen Stadtbahnhaltestellen, Konsumtempeln, Dönerläden und Stadthaus, welches noch keine dreißig Jahre alt ist und dennoch merkwürdig aus der Zeit gefallen scheint, versucht sich in der Platzmitte die barocke Grupello-Pyramide zu behaupten, umrahmt von Rasenflächen und Blumenbeeten. Ein wildes Konglomerat.

Durch Viertel, die sich eher wie Basare im Süden Europas anfühlen, so bunt ist das Sprachengewirr, geht es weiter zum Jungbusch. Im einst stolzen gründerzeitlichen Hafen-, später Rotlicht- und heute Szeneviertel suchen wir die vor einigen Jahren mit viel Aufwand realisierte Promenade am Kanal. Tagsüber zeigen sich vor allem die Brüche und noch nicht eingelösten Versprechen für den Wandel des Quartiers. Neben einer Tankstelle der zentrale Platz am Wasser mit deutlichen Zeichen von Vandalismus: Müll, Scherben und ein durchdingender Geruch nach Urin. Direkt angrenzend die Popakademie und teure Lofts und Eigentumswohnungen. Eingestreut einige Cafés und Kneipen, deren Plakate mit der Bitte, das Viertel nicht zuzumüllen, von der schwierigen Gratwanderung zwischen Kreativen, Szene und Kommerz, zwischen Zugezogenen und den dort schon immer ansässigen Bewohnerinnen und Bewohnern zeugen. Das Rad schiebt man auch hier besser.

Quartiersplatz im Jungbusch, Katrin Korth

Relativ ungestört radeln lässt es sich auf dem Uferweg am Neckar, wenn auch von der Stadt nicht viel zu erleben ist. Wären da nicht die Schnellradler, die mit ihrem Klingeln deutlich anzeigen, dass nebeneinander herfahrende, miteinander plaudernde Radelnde einfach nur nerven.

Mannheim wirbt mit Besonderheiten: mit der zweitgrößten Schlossanlage Europas, mit einer der angesehensten bürgerschaftlichen Kunstsammlungen der deutschen und internationalen Moderne bis zur Gegenwart, mit seinem gründerzeitlichen Wasserturm, mit dem Luisenpark als schönste Parkanlage Europas. Das Schloss, ein eher trister Bau, der die Universität beherbergt. Die Kunsthalle mit ihrem nagelneuen Erweiterungsbau von gmp und ihrer Idee der „Stadt in der Stadt“, vo außen wirkt sie wie eine Lagerhalle, die auch im Hafengelände stehen könnte. Der Wasserturm mit seinem Brunnenprospekt, seltsam losgelöst von der umgebenden Stadt und umtost vom Autolärm. Lohnenswert der Luisenpark, eine gepflegte, bürgerliche Oase im Dickicht der Stadt, trotz acht Euro Eintritt. Ob der Park wirklich der schönste in Europa ist? Mir fallen da andere Parks ein. Dennoch, der Charme der Gartenschau von 1975 wirkt immer noch. Weite baumbestandene Rasenflächen, liebevolle Details, dazu immer wieder Zeichen spendenbereiter Mannheimer, wenn auch der Park insgesamt und vor allem seine Gebäude eine Verjüngungskur vertragen könnten. Die Planungen gibt es, 2023 wird es in Mannheim wieder eine Bundesgartenschau geben, die neues Grün schaffen und das bestehende Grün vernetzen und aufwerten soll.

Luisenpark Mannheim, Katrin Korth

Mannheim ist eine Stadt mit Brüchen, mit einer eigenwilligen Geschichte, mit einer Mixtur unterschiedlichster Bürgerinnen und Bürgern, die wie es scheint, nicht viel miteinander zu tun haben. Einige der sogenannten Vielfaltsquartiere in der Stadt sind, wie der Soziologe Konrad Hummel neulich in der ZEIT schrieb, offenbar „Endstation der politischen Nahrungskette“. Quartiere, die deutlich machen, dass Bildungs- und Stadtpolitik, Sicherheit und Demokratieförderung und Investitionen in den öffentlichen Raum, auch mit Radwegen, nicht sektoral sondern nur ressortübergreifend bewältigt werden können.[i]

Der Radfahranteil Mannheims liegt bei 18 %. Verglichen mit anderen fahrradfreundlichen Kommunen in Baden-Württemberg scheint das nicht besonders viel. Die Auszeichnung als fahrradfreundliche Kommune erhielt die Stadt denn auch nicht zuletzt, weil sie „bei der Kommunikation Maßstäbe gesetzt hat“[ii]. 2017 feierte sich Mannheim als Geburtsstadt des Fahrrades. Den Anstoß für die Erfindung des Laufrades gab übrigens eine gravierende Notlage. Der Ausbruch des Vulkans Tambora vor 200 Jahren brachte Hungersnöte und Pferdemangel. Laufräder sollten Pferdefuhrwerke ersetzen, die bis dahin wichtigsten Transportfahrzeuge. Aktuell scheint die Notlage der mit Autos zugestopften Städte noch nicht groß genug zu sein, doch der Blick in die Vergangenheit lässt hinsichtlich unserer heutigen Mobilitätsprobleme hoffen. Radelnd in Mannheim kann man den Schmelztiegel der heutigen Notlage intensiv erleben. Davon abgesehen, die Stadt lohnt einen Besuch, auch wenn sie es Radlerinnen und Radlern nicht ganz einfach macht.

[i] Konrad Hummel: Quartiere ohne Zukunft. In: Die Zeit, 19.07.2018

[ii] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Informationsportal zur Radverkehrsförderung, https://www.fahrradland-bw.de/news/news-detail/mannheim-fahrradfreundliche-kommune/vom/8/12/2017/

Am Brunnen vor dem Tore da steht kein Brunnen mehr– über Brunnen, Stadt und Heimat

Vor einigen Jahren musste ich einen Brunnen zuschütten: ein Wasserspiel aus den 1950er Jahren. Fontänen und Beleuchtung waren schon lange dem Vandalismus zum Opfer gefallen, das einstmals blaue, nun verblichene leere Brunnenbecken fristete über Jahre ein trauriges Dasein. Der Standort? Direkt vor dem Bahnhof einer kleinen Großstadt im Südwesten Deutschlands, die sich bemüht, mehr zu sein als sie ist. Was für ein Willkommensgruß. Die städtische Grünflächenabteilung, die ich seinerzeit geleitet habe, hätte den Brunnen gern saniert. Wir rechneten und prüften, machten Pläne und Vorschläge. Doch bürgermeisterliches Desinteresse (Zitat: „Schüttet das Sch…ding zu“), zögerliche Stadträte, die die Sanierungskosten nicht wahrhaben wollte („Ihr habt das doch teuer gerechnet, das geht billiger“), und der eisige Wind kahlschlagender großstädtischer Stadtentwicklungspläne fegten über den Brunnen hinweg. Danach fegte über meine Kollegen und mich ein Sturm öffentlicher Empörung, waren wir doch diejenigen, die im Rampenlicht standen und das Brunnenbecken zugeschüttet hatten. Örtliche Zeitung und Bildertanz, ein abgeklärt kluger und mitunter romantisch verklärender Bilderblog, kommentierten das Geschehen bissig. Über Wochen und bis heute entrüsteten sich Bürgerinnen und Bürger.

Was kaum jemand auf dem Schirm hatte: viele Menschen fühlten sich mit dem Brunnen verbunden. Sonntägliche Spaziergänge in Kindheit und Jugend, später der schnelle Blick aus dem Auto, Willkommens- und Abschiedsbild bei Reisen mit der Bahn – der Brunnen als seelisches Erinnerungsstück einer Stadt und Symbol für die Aufbruchsstimmung der 1950er Jahre, als alles besser und vieles schnell vergessen werden sollte. Der Brunnen – nach dem Zuschütten wurde es offensichtlich – war offenbar ein Stück Heimat.

Der Begriff Heimat wird aktuell inflationär verwendet, hat es sogar in den Titel eines Bundeministeriums geschafft. Doch was ist Heimat wirklich? Als Begriff gewann Heimat erst mit der Industrialisierung und der rasanten Urbanisierung im 19. Jahrhundert an Bedeutung. Und bis heute hat er immer dann Konjunktur, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse rasant verändern: durch Wachstum, Ein- und Auswanderungswellen, Globalisierung, Digitalisierung. Heimat wird dann zum kulturellen Sehnsuchtsort.

Doch über die kulturelle Deutung von Heimat als Gefühl hinaus wird der Begriff zunehmend auch politisch besetzt, als fühlbares Gegenstück zur modernen, schnellen und kalten Gesellschaft. Die Süddeutsche schrieb am 2. Januar 2018 dazu: „Heimat ist also größer als die Familie und kleiner als das Vaterland. Damit beschreibt sie eine Sphäre von “Gemeinschaft” vor dem Abstraktum der modernen “Gesellschaft”“ und weiter „”Heimat” wird so zu einer eigentümlich vorpolitischen Sphäre, die mit allerlei Gefühls- und Erinnerungswerten aufgeladen wird.“ (Gustav Seibt: Was ist Heimat? Ein gutes Gefühl. In Süddeutsche Zeitung 02.01.2018)

Und hier findet sich der Anknüpfungspunkt zu den Brunnen: Brunnen finden sich irgendwo zwischen Familie und Vater(Mutter)land. Brunnen waren und sind Symbole städtischen Lebens, Ausdruck der Verfasstheit einer Stadt, auch Zeichensetzungen – der Mächtigen wie auch der Bürger. Als gebaute Objekte sind sie Zeitzeugen des Erinnerns an vergangene Zeit. Sie sind emotionale Ankerpunkte im Stadtgrundriss, Brunnenplätze sind Orte des städtischen Miteinanders – und zwar des tatsächlichen, nicht nur des verordneten oder herbeigeredeten Miteinanders.

Brunnen sind natürlich noch viel mehr: das Spiel des Wassers erfreut und erfrischt. Und gibt es etwas Schöneres, als am Brunnen zu sitzen und zu entspannen? Oder Kindern beim Toben im Wasser zuzusehen? Wasser spricht alle Sinne an und wie kaum ein anderes Stadtelement erzeugen Brunnen kleine glückliche Momente im hektischen Alltag.

Das ist der Grund, warum sich Menschen empören, wenn Brunnen nicht funktionieren oder stillgelegt werden. Das ist der Grund, warum sich Menschen einsetzen für Erhalt, Pflege und Sanierung vorhandener oder auch den Bau neuer Brunnen.

Beispiele gibt es reichlich: z.B. Die Europäische Brunnengesellschaft in Karlsruhe. Beharrlich holt sie vergessene Brunnen und ihre Geschichten ans Licht der Öffentlichkeit, saniert Brunnen und organisiert Ausstellungen. In Stuttgart gibt es die Stiftung Stuttgarter Brünnele. In einigen Städten gibt es Patenschaften. Magdeburg hat vor einigen Jahren ein Brunnensponsoring ins Leben gerufen. Abgesehen von einigen wenigen Hauptbrunnen laufen die Wasserspiele nur, wenn sich Sponsoren für den Betrieb finden. Dieses Jahr kamen 40.000 Euro zusammen. Auch ich sponsere dort für den Betrieb eines Brunnens, zusammen mit meiner Schwester und ihren Nachbarn finanzieren wir den historischen Brunnen im Möllenvogteigarten im Domviertel. Man kann das auch durchaus kritisch sehen. Brunnen sind schließlich eine städtische Aufgabe, so wie Rasen mähen, Mülleimer leeren, Spielplätze pflegen. Doch ich spende nicht, weil die Stadt diese Aufgabe nicht übernehmen könnte. Eine Stadt, die das Geld für ihre Brunnen nicht aufbringen kann, kann ohnehin alles andere auch vergessen. Ich spende, weil ich dankbar bin, weil es meine Geburtsstadt ist und ich mich so verbunden fühle. Ich spende, weil ich so etwas zurückgeben kann von dem, was mir die Stadt gegeben hat. Ganz in Anlehnung an Pippi Langstrumpf: Warte nicht darauf, dass die Menschen dich anlächeln. Zeige Ihnen, wie es geht! –Warte nicht drauf, dass die Stadt etwas für dich tut, sondern tue selbst etwas. Denn Brunnen sind offensichtlich ein Stück Heimat.

Vor kurzem habe ich ein interessantes Beispiel in Pirna entdeckt. Bei Bauarbeiten wurde 2016 ein Wasserspeicher aus dem 13. Jahrhundert freigelegt. Die Stadtverwaltung schuf Tatsachen ließ ihn verfüllen. Dabei gibt es eine Initiative (Pirnaer Brunnen), die über 10.000 Euro Spenden gesammelt hat, um den Schacht sichtbar und erlebbar zu machen. Es folgte eine nun schon 2 Jahre währende kommunalpolitische Diskussion, immer noch nicht abgeschlossen, die vor allem eines zeigt: das Thema ist emotional besetzt und sollte von den Städten und ihren Administrationen nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Eine Stadtplanung und Stadtpolitik, die ihre Brunnen vergisst, macht etwas falsch. Das sage ich nicht, weil Brunnen mein Spezialthema sind. Das sage ich, weil es eben nicht nur um das Bauen von immer neuen, wie auch immer gestalteten Wohnhäusern geht oder um Straßen, Schulen, Kindergärten, Gewerbegebiete, sondern auch um das Erzeugen von unverwechselbarer Stadtidentität, also um Heimat. Das geht nur über ein Stadtbild, welches Abwechslung bietet und individuell ist, über einen Stadtgrundriss, der im Maßstab angepasst ist und der Menschen verbindet und zusammenführt. Das geht nur über eine Stadt, die auf der emotionalen Ebene positiv anspricht.

Brunnen und ihre Plätze stehen für dieses Positive: in ihnen mischen sich Baukunst und emotionales Erleben, Politik und Gemeinschaft, Ästhetik, Tradition und soziales Miteinander – und das schafft Heimat. Manchmal wird das, wie beim Listplatzbrunnen in Reutlingen, erst klar, wenn etwas nicht mehr da ist. Denn was Heimat wirklich bedeutet, erfährt man vor allem im Verlust.

Nachtrag

Letztes Jahr wollte ich eine Initiative für die Reaktivierung des Listbrunnens gründen und habe Mitstreiterinnen und Mitstreiter gesucht. Das hat ziemlich Wellen geschlagen: die Reaktionen auf FB reichten von Begeisterung und „JA, ICH BIN DABEI“ bis hin zu „WOFÜR EIGENTLICH BÜRGERENGAGEMENT,WENN DIE STADT DAS GELD AN ANDERER STELLE ZUM FENSTER RAUSWIRFT“ oder „DIE BEI DER STADT SOLLEN ERST EINMAL IHRE HAUSAUFGABEN MACHEN; DANN ENGAGIEREN WIR BÜRGER UNS VIELLEICHT AUCH“. Interessant auch die Reaktionen einiger Stadträte, die erhebliche Vorbehalte hatten nach dem Motto: Bürgerengagement ja, aber bitte in geregelten, kontrollierten Bahnen.

So wird das natürlich irgendwie nichts mit dem Brunnen, stetig sind nur die Klagelieder regelmäßig in den Posts. Es bleibt festzuhalten: Eine Stadt hat die Brunnen, die sie verdient.

 

Verweise

Bildertanz Reutlingen: rv-bildertanz.blogspot.com/

Süddeutsche Zeitung vom 02.01.2018 http://www.sueddeutsche.de/kultur/sz-serie-was-ist-heimat-ein-gutes-gefuehl-1.3802786)

Pirnaer Brunnen: https://www.facebook.com/PirnaerBrunnen/

Stiftung Stuttgarter Brunnen: www.stiftung-stuttgarter-bruennele.de/

Europäische Brunnengesellschaft Karlsruhe: www.brunnengesellschaft.de/

Brunnen und Wasserspiele – überflüssiger Schnickschnack

Immer wieder behaupten Stadtplaner und Stadtplanerinnen, dass Gestaltungen mit Wasser, vor allem Brunnen und Wasserspiele, lediglich additive Elemente der Stadtgestaltung seien – zu unwichtig, um sich mit ihnen intensiv zu beschäftigen. Ich reagiere auf solche Statements meist befindlich, schließlich ist Wasser in der Stadt mein Spezialgebiet – und wer lässt sich schon gern sagen, dass das unwichtig ist. Denn genau das ist im Planerjargon mit ADDITIV gemeint: UNWICHTIG.

Aber vielleicht ist ja etwas dran an der Behauptung? Vielleicht ist gestaltetes Wasser für Städte tatsächlich unwichtig? Deshalb ein kleiner historischer Rückblick.

Ohne Wasser keine Stadt. Alles Leben der Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner, aber auch das Grün mit Bäumen und Parks, Gewerbe und Industrie wären ohne Wasser nicht möglich. Durch Städte fließen Flüsse und Bäche. Es gibt Brücken, damit Teil städtischen Wassers. In den historischen Städten kamen noch planvoll angelegte Stadtbäche dazu. Sie lieferten Wasser für Gewerbe und spülten Abfälle aus der Stadt heraus. Und dann waren da die öffentlichen Brunnen, notwendig für die Trinkwasserversorgung, mit ihren Standorten auf Plätzen und Wegekreuzungen.

Wasser war notwendig, barg aber auch Gefahren: Hochwasser, Schlamm, Matsch und Schmutz auf den unbefestigten Wegen. Auslöser für Seuchen und Epidemien waren dieser Dreck und verseuchtes Trinkwasser, dazu kam die permanente Angst vor Brunnenvergiftungen. Schließlich drohten in den eng bebauten Städten Stadtbrände, Wasserknappheit konnte da schnell zur Katastrophe werden. Wasser war sichtbar und allgegenwärtig, die Menschen lebten damit. Der Blick in die Geschichte zeigt auch: Wasser war nie nur funktionales Element, sondern immer gestalterisches und sozialräumliches. Die prächtig geschmückten Marktbrunnen waren Symbole der Macht und Zeichen des Stadtlebens. Brücken waren nicht einfach technische Bauwerke, sondern oft großartige Zeichen der Handwerks- und Ingenieurkunst. Ein weiterer Aspekt des Wassers zeigt sich im Bild der Stadt. Historische Stadtansichten stellen gern Flüsse und Stadt als besondere Kulisse dar. Unter anderem daher rührt die Faszination der Menschen für städtisches Wasser. Darum lieben sie die Brunnen und sitzen gern am Ufer von Flüssen und Seen. Gestaltetes Wasser spricht emotional an, erfreut, sorgt für Wohlbefinden, hatte aber eben immer auch eine Funktion für das Stadtleben.

Dennoch gab es mit dem Beginn der Industrialisierung eine lange Periode, in der das Wasser fast komplett abwesend war. Stadtbäche wurden zugeschüttet, Flussufer mit Straßen und Gewerbe bebaut. Die Flüsse verdreckten, nicht nur weil die Abwassermengen anstiegen, sondern vor allem, weil durch die Industrie hochbelastetes Abwasser in den Flüssen entsorgte. Dazu wurde jede noch so kleine unbefestigte Fläche in der Stadt versiegelt. Pfützen? Eine Katastrophe. Das Regenwasser wurde möglichst schnell in die Kanalisation und die Flüsse abgeleitet. Oft so schnell, dass die Hochwassergefahr rapide anstieg. In der Stadt sichtbar waren nur noch Schmuckbrunnen, tatsächlich manchmal wie additives, austauschbares Stadtmobiliar. Mit diesem technisierten Umgang entfernten sich die Menschen vom Wasser. Wasser und Abwasser als Ware, professionell behandelt von unsichtbar agierenden Ver- und Entsorgungsbetrieben. Das Verständnis für Wasser – für seine lebensbejaenden und bedrohlichen Seiten ging verloren. Vermutlich wäre das so weitergegangen. Doch die ökologische Bewegung der 1970er und 1980er Jahre führte zu einem Umdenken, in Verbindung mit den anhaltenden Hochwässern und der generellen Wiederentdeckung der Stadt. So kam es auch zur Wiederentdeckung des Wassers in der Stadt.

Viele renaturierte Flüsse und Bäche zeugen davon, auch Ufergestaltungen und Parks, bespielbare Bäche mit Liegewiesen. Dazu Wasserspielplätze und Brunnen – beliebt bei Kindern, aber nicht nur bei diesen. Dazu auch wieder das Bild der Stadt am Wasser. Die vielversprechenden Stadtansichten von Köln, Dresden, Tübingen oder Heidelberg sind mehr denn je vielversprechend, da Fluss und Stadt eine Verbindung eingehen, die Menschen emotional anspricht. Leider entsteht diese Verbindung oft nur im Bild, real ist das Flusserleben nicht selten mit Hindernissen verbunden. In Heidelberg zerschneidet eine Bundesstraße das Ufer. In Tübingen ist der Neckar an vielen Stellen nur mittelbar erlebbar, weil die Ufer nicht zugänglich sind. Wenn man nicht gerade Stocherkahn fahren will, gibt es zum Sitzen am Wasser nur die historische Stadtmauer, die Schwindelfreiheit erfordert und ziemlich unbequem ist. Anderswo sind die Städte bereits wieder an den Fluss herangerückt. Sitzstufen und Wege, ja ganze Parkanlagen am Wasser, wie in Frankfurt und in Koblenz, dort sogar mit Seilbahn, welche die Rheinufer verbindet.

Wasser in der Stadt umfasst heute viel mehr Aspekte: Klimawandel mit zunehmenden Starkregenereignissen oder langen Hitze- und Trockenperioden. Anhaltende Versiegelung durch Straßen und Bebauung. Grundwasserverhältnisse, die sich dadurch verschlechtern. Luftverschmutzung durch viel zu viele Autos. Mikroplastik in den Gewässern. Zeiten, in denen Kreisläufe längst keine Kreisläufe mehr sind. Alles Gründe, genauer auf das Thema Wasser in der Stadt zu schauen.

Wasser in der Stadt bedeutet deshalb: Freihalten von Flächen für Hochwasserschutz und gleichzeitig ihre Gestaltung als Parks und Grünanlagen, Versickern und Rückhalten von Regenwasser, Sichern und Ausbauen von Kaltluftschneisen, die oft entlang der Flüsse und Bäche fließen. Sauberhalten der Gewässer, gesundheitliche Vorsorge treffen in den heißen Städten, Abkühlen von Plätzen und versiegelten Flächen, Anreize für Bewegung, Spiel und Sport, erholsame Oasen mit Grün und Wasser, Zugänge zum Wasser schaffen, Sichern lokaler Grundwasservorkommen, Bewässern des Stadtgrüns im Sommer, Umgang mit Starkregen.

Die meisten der benannten Themen laufen in den Städten, wenn überhaupt, nebeneinander: verschiedene Ämter – verschiedene Zuständigkeiten – verschiedene Interessen innerhalb der Stadt. Dabei ist das Thema so umfassend, dass es nur gemeinsam angegangen werden kann. Der Fachbegriff dafür: Wassersensitive Stadtentwicklung.

Wassersensitive Stadtentwicklung betrachtet die Stadt aus dem Blickwinkel des Wassers, nicht nebeneinander sondern miteinander, vernetzt, auch durch das Nutzen gleicher Flächen für unterschiedliche Belange. Das ist am Ende sogar eine Kostenfrage und es spart Platz – in Städten, die keinen Platz mehr haben. Wassersensitive Stadtentwicklung verbindet auch die funktionalen mit den gestalterischen Themen, macht Wasser für die Menschen wieder erfahrbar, nutzbar und schafft lebenswerte Stadt. Dazu gehören auch Brunnen und Wasserspiele – mit ihren Wohlfahrtswirkungen, ihren sozialen Möglichkeiten für das Zusammentreffen der Menschen in der Stadt, ihren stadtklimatischen Vorteilen, ihrer starken Symbolik. Vor allem sie machen Stadt lebenswert.

Darüber habe ich neulich bei der Tagung „Wasser in der Stadt – zwischen Flut und Erlebnis“ beim Netzwerk Innenstadt Nordrhein Westfalen vorgetragen: Faszination Wasser, wiederentdeckt und vielfältig genutzt. Mehr als interessant, denn viele Städte in NRW haben das Thema WASSER für sich bereits wiederentdeckt. Mehr dazu findet Ihr unter: http://www.innenstadt-nrw.de/aktuell/.