Mit dem Fahrrad unterwegs in Mannheim

2017 wurde Mannheim als fahrradfreundliche Kommune Baden-Württembergs ausgezeichnet. Vielleicht hätte ich das lesen sollen, bevor ich mit dem Fahrrad in Mannheim unterwegs war. Und vielleicht hätte ich dann auch vorher im Internet recherchieren sollen, wie man sich radelnd gut durch Mannheim bewegt.

Mannheim hätte gute Voraussetzungen zum Fahrradfahren, die Stadt ist topfeben. Doch Stadt ist vor allem autogeprägt. Auffällig die Hochstraßen. Das benachbarte Ludwigshafen stampfte in den 1960er Jahren das PROJEKT VISITENKARTE aus dem Boden. Aufgeständerte Autobahnen inmitten der Stadt waren für die damaligen Verkehrsplaner modern. Über den Rhein und die Hafenanlagen reichen die Hochstraßen bis nach Mannheim hinein. Unter ihnen, radelnd oder gehend, fühlt man sich klein und verletzlich. Heute sind die Hochstraßen vor allem marode. Den Verkehrsinfarkt haben sie nicht verhindert, dafür das Stadtbild nachhaltig verschandelt. Selbst Mannheims Schlossgarten wird von Hochstraßen zerschnitten. Dazwischen winden sich schmale Radwege, deren Beschilderung sich vermutlich vor allem Einheimischen erschließt.

Wir entdecken eine Fahrradstraße. Aufgeklärte Radelnde wissen, dass sie hier Vorrang haben und schnell vorankommen sollten. Wären da nicht die vielen Schlaglöcher, so dass man das Rad lieber schiebt.

Visitenkarte Hochstraße, Katrin Korth

Auch im Einbahnstraßengewirr der Quadrate braucht es Überwindung, Rad zu fahren. Parkplätze dominieren das Stadtbild, die Gehwege sind schmal, Fahrräder scheinen zu stören. Jederzeit droht eine Kollision mit einem tiefergelegten aufgepimpten Automobil einschließlich seines goldkettchenbehängten Fahrers. Wir erreichen den Paradeplatz, einen der wichtigsten Stadtplätze Mannheims. Zwischen Stadtbahnhaltestellen, Konsumtempeln, Dönerläden und Stadthaus, welches noch keine dreißig Jahre alt ist und dennoch merkwürdig aus der Zeit gefallen scheint, versucht sich in der Platzmitte die barocke Grupello-Pyramide zu behaupten, umrahmt von Rasenflächen und Blumenbeeten. Ein wildes Konglomerat.

Durch Viertel, die sich eher wie Basare im Süden Europas anfühlen, so bunt ist das Sprachengewirr, geht es weiter zum Jungbusch. Im einst stolzen gründerzeitlichen Hafen-, später Rotlicht- und heute Szeneviertel suchen wir die vor einigen Jahren mit viel Aufwand realisierte Promenade am Kanal. Tagsüber zeigen sich vor allem die Brüche und noch nicht eingelösten Versprechen für den Wandel des Quartiers. Neben einer Tankstelle der zentrale Platz am Wasser mit deutlichen Zeichen von Vandalismus: Müll, Scherben und ein durchdingender Geruch nach Urin. Direkt angrenzend die Popakademie und teure Lofts und Eigentumswohnungen. Eingestreut einige Cafés und Kneipen, deren Plakate mit der Bitte, das Viertel nicht zuzumüllen, von der schwierigen Gratwanderung zwischen Kreativen, Szene und Kommerz, zwischen Zugezogenen und den dort schon immer ansässigen Bewohnerinnen und Bewohnern zeugen. Das Rad schiebt man auch hier besser.

Quartiersplatz im Jungbusch, Katrin Korth

Relativ ungestört radeln lässt es sich auf dem Uferweg am Neckar, wenn auch von der Stadt nicht viel zu erleben ist. Wären da nicht die Schnellradler, die mit ihrem Klingeln deutlich anzeigen, dass nebeneinander herfahrende, miteinander plaudernde Radelnde einfach nur nerven.

Mannheim wirbt mit Besonderheiten: mit der zweitgrößten Schlossanlage Europas, mit einer der angesehensten bürgerschaftlichen Kunstsammlungen der deutschen und internationalen Moderne bis zur Gegenwart, mit seinem gründerzeitlichen Wasserturm, mit dem Luisenpark als schönste Parkanlage Europas. Das Schloss, ein eher trister Bau, der die Universität beherbergt. Die Kunsthalle mit ihrem nagelneuen Erweiterungsbau von gmp und ihrer Idee der „Stadt in der Stadt“, vo außen wirkt sie wie eine Lagerhalle, die auch im Hafengelände stehen könnte. Der Wasserturm mit seinem Brunnenprospekt, seltsam losgelöst von der umgebenden Stadt und umtost vom Autolärm. Lohnenswert der Luisenpark, eine gepflegte, bürgerliche Oase im Dickicht der Stadt, trotz acht Euro Eintritt. Ob der Park wirklich der schönste in Europa ist? Mir fallen da andere Parks ein. Dennoch, der Charme der Gartenschau von 1975 wirkt immer noch. Weite baumbestandene Rasenflächen, liebevolle Details, dazu immer wieder Zeichen spendenbereiter Mannheimer, wenn auch der Park insgesamt und vor allem seine Gebäude eine Verjüngungskur vertragen könnten. Die Planungen gibt es, 2023 wird es in Mannheim wieder eine Bundesgartenschau geben, die neues Grün schaffen und das bestehende Grün vernetzen und aufwerten soll.

Luisenpark Mannheim, Katrin Korth

Mannheim ist eine Stadt mit Brüchen, mit einer eigenwilligen Geschichte, mit einer Mixtur unterschiedlichster Bürgerinnen und Bürgern, die wie es scheint, nicht viel miteinander zu tun haben. Einige der sogenannten Vielfaltsquartiere in der Stadt sind, wie der Soziologe Konrad Hummel neulich in der ZEIT schrieb, offenbar „Endstation der politischen Nahrungskette“. Quartiere, die deutlich machen, dass Bildungs- und Stadtpolitik, Sicherheit und Demokratieförderung und Investitionen in den öffentlichen Raum, auch mit Radwegen, nicht sektoral sondern nur ressortübergreifend bewältigt werden können.[i]

Der Radfahranteil Mannheims liegt bei 18 %. Verglichen mit anderen fahrradfreundlichen Kommunen in Baden-Württemberg scheint das nicht besonders viel. Die Auszeichnung als fahrradfreundliche Kommune erhielt die Stadt denn auch nicht zuletzt, weil sie „bei der Kommunikation Maßstäbe gesetzt hat“[ii]. 2017 feierte sich Mannheim als Geburtsstadt des Fahrrades. Den Anstoß für die Erfindung des Laufrades gab übrigens eine gravierende Notlage. Der Ausbruch des Vulkans Tambora vor 200 Jahren brachte Hungersnöte und Pferdemangel. Laufräder sollten Pferdefuhrwerke ersetzen, die bis dahin wichtigsten Transportfahrzeuge. Aktuell scheint die Notlage der mit Autos zugestopften Städte noch nicht groß genug zu sein, doch der Blick in die Vergangenheit lässt hinsichtlich unserer heutigen Mobilitätsprobleme hoffen. Radelnd in Mannheim kann man den Schmelztiegel der heutigen Notlage intensiv erleben. Davon abgesehen, die Stadt lohnt einen Besuch, auch wenn sie es Radlerinnen und Radlern nicht ganz einfach macht.

[i] Konrad Hummel: Quartiere ohne Zukunft. In: Die Zeit, 19.07.2018

[ii] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Informationsportal zur Radverkehrsförderung, https://www.fahrradland-bw.de/news/news-detail/mannheim-fahrradfreundliche-kommune/vom/8/12/2017/

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