Das steinerne Dorf
Wenn wir über Klimawandel diskutieren, geht es schnell darum, was jeder/jede tun muss. Wir diskutieren über Plastiktüten, Plastikhalme, Flugscham, Weihnachtsbäume, über Verbote und Freiheit, die es offenbar ausschließlich auf deutschen Straßen auszuleben gilt. Nicht selten erbitterte und mit Rechthaberbesserwisserduktus geführte Diskussionen, die Vorbehalte schüren und wenig zielführend sind. Immerwährender Beweis, dass es keine besseren Besserwisser als uns Deutsche gibt.
Ich beschäftige mich seit langem mit Stadtgrün und Wasser in der Stadt. Beide Themen haben viel mit dem Klimawandel zu tun. Nur logisch, dass ich dazu letztes Jahr mehrere Vorträge gehalten und Artikel geschrieben habe, u.a. einen über Entsiegelung und Begrünung als Beitrag zur Klimaanpassung (Stadt+Grün 8/2019).
Siedlungen sind von den Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen. Durch die starken Versiegelungsgrade sind Oberflächen- und Lufttemperaturen höher als im Umland. Das führt zu Temperaturen, die tagsüber längeren Aufenthalt im Freien nahezu unmöglich machen, und nachts wirkungsvolle Abkühlung verhindern, da Beton und Asphalt ihre tagsüber gespeicherte Wärme abgeben. Diese Effekte werden in den nächsten Jahren zunehmen. Denn ein großer Anteil der Freiräume ist heute versiegelt – Straßen, Wege, Plätze und Stellplätze. Auch die privaten Freiräume sind stark versiegelt. Hierin liegt einer der Hauptgründe für die Entstehung urbaner Hitzeinseln mit gefühlten Lufttemperaturen von deutlich über 40 Grad und Oberflächentemperaturen um die 70 Grad.
Zum Reigen möglicher Klimaanpassungsmaßnahmen gehören deshalb schon lange Entsiegelung und Begrünung. Beides einfach zu realisieren. Beides nutzt nicht nur dem Klima, sondern auch der Biodiversität oder einfach ausgedrückt, den Insekten und Vögeln. Schaut man sich allerdings um, entsteht der Eindruck, als nähme Versiegelung ungebremst zu. Die Zahl der PKW steigt, damit der Anteil versiegelter Stellplätze. Viele private Grundstücke werden komplett gepflastert oder erhalten großflächige Steinschüttungen. Auf Bepflanzung wird verzichtet, denn Blüten und Laub sind vor allem Dreck. Auch noch der letzte Weg wird asphaltiert, damit die Schuhe nicht verschmutzen. Fassadenbepflanzungen könnten die strahlend weißen Hauswände verschmutzen und machen Arbeit, genau wie Blumenbeete. Die wollen viele Hausbesitzer nicht mehr haben. Die vielgeschmähten Schottergärten sind deshalb deutlichstes Zeichen für unser beschränktes Verständnis zum Freiraum. Alles muss praktisch sein. Neulich habe ich einen Schottergarten entdeckt, der inmitten der Schotterfläche ein Vogelhäuschen beherbergte. Besser lässt sich der Irrsinn nicht ausdrücken. Dabei zeugt das Beispiel durchaus von Gestaltungswillen und möglicherweise einem kleinen Rest an Wissen, dass Gärten etwas mit Natur und die wiederum mit Insekten und Vögeln zu tun haben. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Wer meint, dass dies alles nur die Stadt betrifft, irrt. Dörfer sind ebenso stark versiegelt. Praktisch und komplett gepflasterte Hofeinfahrten, Schottergärten, konsequente Unkrautbekämpfung mit Roundup und wenn Rasen, dann möglichst kurz und auf gar keinen Fall mit Löwenzahn oder Gänseblümchen.
Dabei wäre es einfach. Es gibt gute Beispiele, gute Initiativen und einfache Möglichkeiten zum Tun. Wichtig wäre aber, dass – jenseits politischer Lippenbekenntnisse zum sogenannten Klimanotstand, der in den letzten Monaten mancherorts ausgerufen wurde, oder einem zum Fremdschämen perfekt geeigneten Statement der Umweltministerin Svenja Schulze, dass es „beim Klimaschutz nicht nur um Gletscher und Eisbären geht“ – endlich messbare Maßnahmen ergriffen werden. Dafür braucht es politische und planerische Rahmenbedingungen, Anreize, Vorbilder, Gebote und Verbote (JA, auch Verbote). Dafür braucht es eine ernsthafte Auseinandersetzung darüber, was jeder/jede Einzelne tun kann oder eben nicht tut. Darüber müssen wir reden. Jetzt. Und dann tun.
Anmerkung: Die Fotos in diesem Beitrag entstanden in meiner Nachbarschaft und umliegenden Dörfern. Sie stehen beispielhaft für das, was schief läuft und das, was sich machen lässt. Ich habe übrigens letztes Jahr für meinen Vorgarten einen Preis beim Vorgartenwettbewerb erhalten, ausgelobt von den Verbänden Wohneigentum Baden-Württemberg e.V. und Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Baden-Württemberg. Weit über 1.000 Einsendungen gab es. Der Vorgartenwettbewerb ist eines der Beispiele, was sich machen lässt und hoffentlich findet er viele Nachahmer und Nachahmerinnen.
entsiegelte und begrünte Straßeneinmündung
blühende Mauer